Tourismus in der Hauptstadt: Optimierungspotenzial

Rekorde kann die Hauptstadt einige vorweisen – aber es könnte mit ein paar Verbesserungen noch optimaler laufen.

Brandenburger Tor im Sonnenuntergang

Touristenmagnet Berlin.

Was die Touristen angeht, geht Berlin steil nach oben. Nachdem das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg seine neuesten Zahlen herausgebracht hat, können die Berliner eigentlich nur jubeln und so manch andere Großstadt neidisch schauen:

13,5 Millionen Menschen zog es 2018 zum Vergnügen dorthin. Prächtig, prächtig – vor allem, wenn man das Ganze im Gesamtbild betrachtet. Da zeigt sich nämlich an den langjährigen Statistiken, dass die Bundeshauptstadt seit 2008 mehr oder weniger alles verdoppelt hat.

Mehr Übernachtungen, mehr Gäste und immerhin gut 150 mehr Hotels. Alles also perfekt? Sicher nicht. Denn wer sich ausruht, hat schon verloren. Zwar ein Business-Spruch, stimmt aber hier ganz genauso.

Quo vadis, Berlin? Wie bleibst du touristisch attraktiv? Der folgende Artikel wagt einige Thesen.

1. Sich nicht künstlich abwürgen

Sicher hat mancher Leser mitbekommen, dass auf Mallorca schon seit einigen Jahren diverse Maßnahmen ergriffen werden, um dort den Tourismus weg von einer stark alkoholisierten Party-Klientel zu bekommen.

Natürlich kann man den Mallorquinern dies absolut zugestehen, denn was dort teilweise abging, war tatsächlich weit jenseits jeglicher Vernunft.

Allerdings ist Berlins Senat der Ansicht, dass die Stadt einen ähnlichen Weg gehen sollte. Dazu wurde das „Tourismuskonzept 2018+“ beschlossen:

„Mit dem neuen Konzept wird Berlin Vorreiter für einen stadtverträglichen Tourismus in Europa. Das Tourismuskonzept 2018+ erweitert die Perspektive hin zu einem stadtverträglichen und nachhaltigen Tourismus und zeigt die Leitlinien und Maßnahmen für die kommenden Jahre auf. Es gilt, auch für die Zukunft die Akzeptanz für den Tourismus in der Stadt zu erhalten und gleichzeitig stärker auf Qualitätstourismus zu setzen“

So formulierte es Senatorin Ramona Popp der Grünen.

Doch selbst Burkhard Kieker, Chef des Berliner Tourismusverbandes, unterstrich in einem Interview mit der Berliner Zeitung bereits (unfreiwillig), woran es hapert:

Frage: „Herr Kieker, überwiegen in Berlin die Partytouristen, die Lärm machen und Müll hinterlassen?“
Kieker: „Mit Sicherheit nicht, aber die fallen am meisten auf. Bereits jetzt sind 60 bis 70 Prozent der Besucher das, was wir unter Qualitätstouristen verstehen […]“

Bedeutet, nur 30 bis 40 Prozent aller Berlin-Touristen kommen für Clubs, Kiezleben und Party. Stellt sich die Frage: Warum soll man die (durch welche Maßnahmen auch immer) vergraulen? Es ist ja nicht so, dass hier Mallorca-Verhältnisse herrschen würden; nicht mal annähernd. Berlin ist auch ohne Partytouristen großstädtisch.

Der Senat täte gut daran, zu erkennen, dass es auch Berlins Ruf als Europahauptstadt des Clubwesens ist, das für die boomenden Touristenzahlen sorgt. Was hier abfällig „Partytourismus“ genannt wird, ist gelebte Kultur. Das ist kein Ballermann, sondern hat oft weltweiten Vorreitercharakter.

Reichstag in Berlin

Der Reichstag in Berlin.

2. Die Ecken feinmachen

Berlin zieht auch deshalb Touristen an (eben jene „Qualitätstouristen“), weil die Stadt durch ihre lange, wechselvolle Geschichte ein unglaubliches Füllhorn an Geschichte ist.

Allein seit dem 19. Jahrhundert kann die Stadt auf sieben Staatsformen zurückblicken:

  • Preußen
  • Kaiserreich
  • Weimarer Republik
  • Drittes Reich
  • DDR & BRD
  • Wiedervereinigtes Deutschland

Das alles hat unübersehbare Spuren hinterlassen und ist ein Magnet für alle möglichen Menschen zwischen Schulklassen und verrentetem Luftbrücken-Teilnehmer.

Aber: Es gibt wohl keine andere Stadt mit einer solchen historischen Bedeutung, in der das öffentliche Gut so schlecht gepflegt ist.

Es beginnt beim wirklich überall vorhandenen Graffiti. Es ist Unkraut, es sind überquellende Mülleimer, zertrampelte Beete, mangelnde Anpassung an Gehbehinderte, demolierte Sitzgelegenheiten und vieles mehr.

Dabei gibt es gute, effektive, sogar einfach zu applizierende Richtlinien – man muss sie nur konsequent umsetzen. Wenn die Beete rings um Straßenbäume sowieso direkt festgetrampelt und zur Hundetoilette werden, zieht man die Gehwegplatten eben bis an den Rand oder montiert Hochbeete.

Und wenn Berlin an seiner touristischen Verteilung feilen möchte, wäre es sicherlich auch eine Möglichkeit, die Stadt fahrradfreundlicher zu machen – beim jüngsten Städteranking des ADFC landete die Hauptstadt auf den hintersten Plätzen und war zudem um 14 Punkte abgesackt.

Berliner Mauer entlang der Bernauer Straße

Die Berliner Mauer entlang der Bernauer Straße.

3. Historische Coolness verstärken

Berlin hat viele Museen, viele Gedenkstätten und dadurch vieles, was an Diktatur, Terror, Krieg und Unmenschlichkeit erinnert. Diese Erinnerung ist heute wichtiger denn je und muss nicht nur aufrechterhalten, sondern forciert werden.

Aber: Berlin darf dadurch nicht Gefahr laufen, was das Historische anbelangt, zu einer Stadt der negativen Erinnerungen zu werden. Gerade diese Stadt hat so viel geschichtliche Coolness zu bieten, die ebenfalls erinnerungswürdig wäre, doch vieles liegt brach.

Ein Beispiel. Vergangenes Jahr diskutierten Zuschauer und das Feuilleton immer wieder ein Serienereignis, die Ausstrahlung der ersten Staffel von „Babylon Berlin“ in der ARD; eine Krimiserie, die im Berlin der späten 1920er spielt und von unzähligen Seiten für ihre Authentizität gelobt wird.

Ein herausragendes Beispiel für historische Coolness. Und dennoch sind es vor allem Berliner Privatunternehmen, etwa Ballsäle, Kinos usw., welche auf der Babylon-Welle schwimmen und thematisch passende Veranstaltungen bieten.

Macht die Stadt Berlin etwas daraus? Fehlanzeige. Der einzige Verweis ist eine Seite auf dem offiziellen Tourismusportal der Stadt mit einigen Informationen dazu.

Berlin hat so viel interessante Geschichte abseits der Masse zu bieten. Die 68er, der Hausbesetzer-Szene, die Entwicklung des Techno in den 80ern, Ost-Punkbands, um nur einiges zu nennen.

Die Stadt ist Schauplatz unzähliger Filme, Romane und Serien. Doch angesichts all dieser Tatsachen ist der offizielle Fokus viel zu eng, wo gerade eine Aufweitung für Touristenschübe sorgen könnte.

4. Berlin fußläufiger machen

Berlin hat 3,6 Millionen Einwohner auf knapp 900 Quadratkilometern Fläche. Ähnlich viele Einwohner hat Kapstadt – bei gerade mal 400 Quadratkilometern. Bei Detroit sind es sogar nur 360 Quadratkilometer.

Bedeutet, Berlin hat für seine Einwohner mehr Platz zum Treten als so manche andere Großstadt dieses Levels.

Es ist klar, dass man umso stärker auf irgendeinen rollenden Untersatz angewiesen ist, je größer die täglich zu fahrenden Strecken sind. Doch bei Berlin ist dieses Problem besonders verzerrt.

Denn enorm viele der touristisch bedeutsamen Ziele liegen nicht nur an normalen Straßen, sondern teils mitten im Verkehrsfluss. Nein, damit ist nicht einmal die Siegessäule gemeint. Aber mit Sicherheit der Checkpoint Charlie oder die Gedächtniskirche.

Hier zeigt sich auch immer wieder Kritik vonseiten der Touristen. Denn die zahlenden Touristen sind hochwillkommen, aber dem Drumherum wird nur viel weniger Aufmerksamkeit geschenkt.

Gerade hinsichtlich der Autos wünschen sich deshalb viele, dass hier zumindest entlang der bedeutsamen Tourismusziele der Verkehr beruhigt wird. Zwar zeigt die Kartenübersicht, dass ein Großteil des innerstädtischen Bereiches eine 30er-Zone ist. Aber wenn trotzdem Autos dicht an dicht rollen, ist das keine wirkliche Erleichterung und auch nicht minder gefährlich.

5. Der Montag und die Museen

Dit is Berlin, würde der Hauptstadtbewohner sagen. Und tatsächlich, diese Tatsache ist eine ziemlich herausragende Berliner Eigenart, die kaum Gegenstücke hat.

In Berlin haben an Montagen so viele Museen und andere Einrichtungen des touristischen Interesses geschlossen, dass die Tourismusbetriebe der Stadt auf ihrer Webseite eine eigene Liste an Locations eingefügt haben, bei denen das nicht der Fall ist – nebst einer Begründung:

„Warum ist das so? Nahezu alle Veranstaltungen, die im Zusammenhang mit einer Ausstellung stehen (Vernissagen, Finissagen usw.) finden an einem Sonntag statt. Um den Ab-, und Umbau bzw. den Aufbau der neuen Ausstellung zu bewerkstelligen, sind die Museen in der Regel am Montag für Besucher geschlossen.“

Ab- und Aufbau gibt es in anderen Städten auch – ohne dass da am Montag Touristen den Tag verbummeln müssten.

Insbesondere ob der Tatsache, dass die Touristen-Einnahmen eines Tages die Kosten, die ein Haus für den Betrieb bzw. das Offenhalten an diesem Tag hat, zumindest ausgleichen, meist aber sogar übertreffen, wäre es angeraten, diese Praxis abzustellen – abermals mit Hinblick auf Qualitätstouristen.

 

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